17.08.2014

Review: Lucy

Der französische Regisseur Luc Besson (Leon der Profi, Das Fünfte Element) veröffentlicht mit Lucy den wohl dümmsten Film des Jahres. Doch Hauptdarstellerin Scarlett Johansson (Avengers, Die Insel, Don Jon) sorgt dafür, dass trotzdem niemand meckernd aus dem Kino rennt.

Warum der Film sowohl unglaublich dämlich, im selben Atemzug jedoch auch verdammt originell, einzigartig und in gewissem Maße sogar richtig sehenswert ist, lest ihr im Review!
                                                 
Um die Problematik von Lucy erläutern zu können, muss ich zunächst ein wenig über die Handlung des Films sprechen. Wer also plant, gänzlich ohne Vorwissen ins Kino zu gehen, sollte sich das Review am besten erst durchlesen, nachdem er den Film gesehen hat. Dennoch werde ich hier nichts spoilern, was nicht auch bereits durch die Marketing-Kampagne (Trailer, Poster, etc.) angedeutet wurde. 

Im Film geht es im Grunde um eine Frau, die mit einer neuartigen Droge in Berührung kommt, die in ihrem Gehirn die ungenutzte Hirnkapazität freisetzt und sie zu einem Übermensch macht. Hier muss ich allerdings direkt einen großen Schnitt machen und diese Sache klar stellen, damit wir sie aus dem Weg geräumt haben. Ja, die Aussage, dass der Mensch nur 10% seines Gehirns nutzt, während die restlichen 90% unerschlossenes Territorium sind, ist großer, dämlicher Unfug. Scharlatane die früh morgens auf Eurosport und QVC für 90 Cent die Sekunde Anrufern die Zukunft voraussagen, sind Menschen die diesen Irrglauben verbreitet haben um so ihre Taschenspielertricks zu erklären. Wenn dann noch schlecht recherchierte, selbst-benannte "Wissensmagazine" wie Galileo reihenweise Beiträge dazu ausstrahlen, wird aus diesem Quatsch für viele Otto-Normal-Konsumenten schnell die wahrste Wahrheit. Movie Attack Force Leser sind natürlich mental ein bisschen belastbarer, weswegen ich hier nicht im Detail erklären muss warum diese 10% Theorie Schwachsinn ist. Ich mach es aber sicherheitshalber trotzdem.

Längst wurde herausgefunden, dass wir natürlich sehr wohl unser komplettes Gehirn benutzten. Nur eben nicht alles zur gleichen Zeit, da verschiedene Regionen unseres Gehirns für verschiedene Aktivitäten und Prozesse zum Einsatz kommen. Wir benutzen fürs Fahrrad fahren einen bestimmten Teil, fürs auswendig lernen eines Gedichtes einen anderen. Auch Ärzte, die Kopfschuss-Patienten behandeln, haben wir noch nie sagen hören: "oh, welch Glück, dass die Kugel nur durch die 90% des Gehirns gegangen ist, welche wir Menschen sowieso nicht benutzen!". 

Lucy bildet die grundlegende Prämisse jedoch genau auf dieser Annahme hin auf. Hier geht es sogar so weit, dass im Laufe der Handlung zwischenzeitlich immer eingeblendet wird, bei wie viel Prozent Hauptfigur Lucy gerade angelangt ist. Je näher sie an die 100% gelangt, desto mehr Fähigkeiten entwickelt ihr Körper. Auch der Klischee-Wissenschaftler, selbstverständlich gespielt von Morgan Freeman (Bruce Allmächtig, The Dark Knight Trilogie, Sieben), hält in einer Szene zu Beginn eine Vorlesung ab, in der er diesen Quatsch ganz trocken als Wahrheit verkauft und sogar Theorien anführt, welche Kräfte ein Mensch freisetzen würde, hätte er mehr Zugriff auf sein eigenes Gehirn. So kann Lucy alsbald andere Menschen manipulieren, Dinge mit ihrem bloßen Willen bewegen und letztlich sogar Moleküle verändern um sich beispielsweise im Bruchteil einer Sekunde eine neue Haarfarbe zu gönnen. All dies bringt den Film natürlich sehr schnell in Sci-Fi Gefilde, in denen man den Handlungsverlauf gar nicht vermutet hatte. Leider ist genau dies auch die Crux des ganzen Filmes. Wo man über dumme Plot-Vehikel hinweg sehen kann (Lucy ist nicht der erste Film der mit unrealistischen Vorstellungen von Wissenschaft hantiert), ist es immer fatal, wenn der Film komplett ohne Spannung verläuft. Lucy wird im Film relativ schnell ziemlich unbesiegbar. Alle anderen Menschen im Film sind schon nach den ersten dreißig Minuten nur noch winzige Hindernisse, die sie mit einem Schwenk ihrer Hand wegwischen könnte. Auch der große "Bad Guy" des Films, ein koreanischer Kartellboss gespielt von Oldboy Darsteller Choi Min-sik, ist gänzlich unfähig ihr Schaden zuzufügen. Er ist zwar durchaus interessant anzusehen, wirkt leider wie jede andere Nebenfigur ziemlich befreit von Backstory, Motivation oder Charaktereigenschaften, die über das typische "böser Gangsterboss ist böse"-Getue hinausgeht. Es ist schon fast ironisch, wie ein Film, welcher von ungenutztem Potential handelt, selber so viele potentiell interessante Ansätze links liegen lässt. 

Der Film selbst wäre also eine große Enttäuschung, hätte Regisseur Luc Besson nicht noch ein Ass im Ärmel: Scarlett Johansson. Die trägt mit ihrem unverwechselbaren Charisma den Film auf ihren Schultern. Egal ob zu Anfang als Leopardenmuster tragendes Dummchen oder später als weibliche Version von Dr.Manhattan (der hier) - Scarlett Johansson vermittelt dem Zuschauer immer genau das was er gerade braucht. Hinzu kommt, dass sie nicht zuletzt auch dank ihrer Arbeit in den Marvelfilmen verdammt gut in Actionszenen ist. Lucy hat hier eine äußerst gut inszenierte Verfolgungsjagd gegen Ende des Films, die wohl kaum eine andere Schauspielerin in ihrem Alter so gut gemeistert hätte. Am meisten gefiel mir die Szene, in der Lucy, kurz nachdem sie von der Droge zum schlausten Menschen der Welt gemacht wurde, ihre Eltern anruft. Da sie zum ersten mal den vollen Umfang ihrer Gefühle und Erinnerungen abrufen kann, bekommen wir einen überraschend herzlichen und ungewöhnlich gut inszenierten Moment zwischen all dem Badass-Geballer serviert. Der Regisseur hat Schauspieler und Dialog dort wirklich exzellent eingesetzt und zeigt sogar die Position des Films selbst auf clevere, unterschwellige Weise. Wissenschaft sterilisiert die Welt nicht, sie hilft uns näher aneinander zu rücken. Wissen ist der Schlüssel zum Sieg in jeder Form. 

Das, was mich jedoch letztendlich wirklich dazu bewegt, den Film trotz der vielen Schwächen zu empfehlen, ist die Tatsache, dass Lucy etwas frisches und neues versucht. Nicht nur gibt es im Kino immer noch viel zu wenige weibliche Hauptrollen in Action/Sci-Fi/Fantasy-Filmen, sondern bietet der Film auch stilistisch vieles, was im Popcornkino nach wie vor als "Neuland" bezeichnet werden könnte. Lucy ist endlich wieder ein Actionfim, der verdammt gut geschnitten und gefilmt wurde. Alles ist flüssig und es gibt keine nervige Shaky-Cam-Handkamera-Wackelfights. Auch ist der Film ein wenig ambitionierter, als man denkt - speziell wenn man bedenkt, auf welchem Qutasch die Story aufbaut. Lucy ist beispielsweise oftmals von kurzen Szenen einer Tierdoku unterbrochen, um der Handlung offensichtliche, visuelle Metaphern einzustreuen (z.B sehen wir in dem Moment wo die Bösen zum ersten Mal Lucy gefangen nehmen immer wieder Sekundenbruchteile eines Geparden, der eine Gazelle reißt). Auch die Szene am Ende, wenn Lucy auf einem Schreibtischstuhl durch die Zeit reist (ich werde das warum, wieso, weshalb jetzt nicht erklären - aber im Kontext des Films macht es schon irgendwie Sinn, keine Angst!) um die "erste" Lucy (Ja, Besson hat den Film nicht aus Spaß so gennant) zu treffen, ist reich an Aussage und hat komplett ohne Dialog ziemlich viel Gewicht und Gefühl.

Wer also Fan von Scarlett Johansson ist, Filme wie Matrix oder Ohne Limit mag und kein Meisterwerk erwartet, könnte hier sicherlich 90min Spaß im Kino haben. 

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